Grenzgeschichten

Der Russlandversteher von Christopher Eichfelder

Ein angeblicher CIA-Spion und Moskau-Journalist verhilft aus dem Informations-Dschungel, eine Osteuropa-Korrespondentin wird täglich mit Hass- und Drohmails überschüttet: Willkommen in der Welt der Auslandberichterstattung.

ARD-Journalist und gleichzeitig Geheimagent sein geht nicht? Doch, zeigt das Beispiel Johannes Grotzky: Mit dieser ungewöhnlichen Berufskombination kommt man sogar in die Nähe von Brandt und Gorbatschow.

Auslandskorrespondent Johannes Grotzky war CIA-Agent. So konstruierte es zumindest ein russischer Spion in den Medien. „Vieles davon stimmte auch“, meint der Journalist heute. Seine Frau Amerikanerin, seine Wohnung nahe am Propagandasender „Radio Liberty“, sein nächstes Ziel: Vermont, nahe der CIA–Ausbildungszentren. „Die haben also mein normales Leben genommen und haben das alles projiziert auf Geheimdiensttätigkeit.“ Wie später herauskam, war die Geschichte aber komplett erfunden. Doch bei seinen Freunden war er vorerst ein „toter Mann“, die russischen Behörden forderten empört den Abzug Grotzkys und verboten ihm jede journalistische Arbeit, die nicht in Moskau und der direkten Umgebung stattfand.

Doch die Wirrung um die Anekdote ist dreißig Jahre her. Jetzt sind wir beide in einem der rot-weißen Münchner S-Bahnzüge unterwegs. Auf dem Weg zu Grotzkys Arbeitsplatz, dem Funkhaus des Bayerischen Rundfunks. Auf der blau-schwarz gemusterten Bank gegenüber sitzt er. Weiß-grau gestreiftes Hemd, schwarze Lederjacke. Die Brille mit den abgerundeten Gläsern hat er zwischen den kleinen und den Ringfinger geklemmt. Zusammengekauert sitzt er da – den Blick auf sein iPhone geheftet. Wenn man ihn so betrachtet, hätte die Agentenrolle doch ganz gut auf ihn gepasst. Er fällt nicht weiter auf im Trubel des Münchner Nahverkehrs – man unterschätzt ihn schnell.

Das dachten sich damals sicher auch die Russen.

Das dachten sich damals sicher auch die Russen. Ihr Vertrauen in Johannes Grotzky war erst einmal dahin. Es dauerte ein halbes Jahr, bis Gerd Ruge, der erste Moskau- Korrespondent der ARD, dafür sorgte, dass er rehabilitiert wurde. Ruge lud seine alten Freunde, darunter auch KGB-Offiziere, ein und stellte Johannes Grotzky als seinen engen Freund vor. Diese Methode zeigte Wirkung: Bereits am nächsten Tag meldete sich das russische Außenministerium und erkundigte sich nach den nächsten Reiseplänen. In dieser Zeit legte sich der Journalist „ein dickes Fell zu“. Immerhin wurde Grotzky, wie er selbst zugibt, „immer mal wieder die Ausweisung angedroht“ – doch ohne die Faszination Russland nachhaltig zu beschädigen. Noch heute ist „Rossija“ sozusagen seine zweite Heimat.

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JOHANNES GROTZKY – GEDANKENVERSUNKEN IN DER MÜNCHNER S-BAHN

Sein Interesse für das Land im Osten Europas wurde bereits in der Grundschule geweckt. Einerseits erzählte sein Gemeinschaftskundelehrer, selbst Panzerleutnant im Zweiten Weltkrieg, wie er „dem Russen eins vor die Fresse geballert“ hatte. Eine Anekdote, die seine Klassenkameraden auch noch mit freudigem Grölen quittierten. Sein Mathematiklehrer, „lange, lange, lange in Kriegsgefangenschaft“, erzählte hingegen „voller Liebe von Russland“. Von da an wollte Johannes Grotzky herausfinden, warum „das Etikett Russe so polarisiert.“

„Der Kalte Krieg hat da viel verändert“
Diesem Zwiespalt wollte Grotzky zwingend auf den Grund gehen. Folgerichtig lernte der Journalist Russisch – und plante bereits, zum Studieren nach Russland zu gehen. Dieser Wunsch verfing sich allerdings sprichwörtlich im Eisernen Vorhang. Weil die diplomatischen Verhältnisse 1970 noch so unterkühlt waren, hatte er keine Chance auf eine Aufenthaltsgenehmigung. Das erste Mal war er sehr spät dort, „der Kalte Krieg hat da viel verhindert“, meint Johannes Grotzky rückblickend. „Das war 1978, glaub ich“, da war der spätere Auslandskorrespondent bereits 29 Jahre alt – mit schwarzem Vollbart und Koteletten, die über die Wangen reichten – auch modisch eine völlig andere Zeit. Trotzdem hat Grotzky seine Russland-Premiere noch heute genau in Erinnerung: Die „Intourist“-Reisegruppe, zu der er gehörte, wurde kontrolliert geführt und regelrecht gegängelt. Grotzky selbst aber war da meist schon „ausgebüchst, weil ich ja mein Russisch schon so konnte, dass ich mich verständigen konnte“.

War ausgebüchst, weil ich ja mein Russisch schon so konnte, dass ich mich verständigen konnte.

Denn allen Zwängen zum Trotz, wollte er Land und Leute auf eigene Faust erkunden. Die gesammelten Erfahrungen sammelte Johannes Grotzky in ersten Reportagen. Thematisch abseits des eingefahrenen Schemas von Gut und Böse, legte er Wert darauf, eine Perspektive einzunehmen, die über die bloße politische Betrachtung Russlands hinausgeht. Kultur, Kunst und Bildung Russlands interessierten den studierten Slawisten weit mehr. Verglichen mit seiner späteren Arbeit, sagt Grotzky schmunzelnd, sei das allerdings „noch sehr bescheiden gewesen“. Kritisch und hintergründig zu berichten, blieb aber weiterhin seine Devise. Mit 34 Jahren, bei der Berufung nach Moskau, die eigentlich nur zustande kam, weil sein Russland-Kollege sich, erfolgreicher als Grotzky, um den Posten als Balkan-Berichterstatter bewarb und dessen Posten frei wurde, verfolgte er die gleiche Marschroute.

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WIR RUFEN DAS ARD-STUDIO IN MOSKAU: JOHANNES GROTZKY AUF AUSSENEINSAT

Bei seiner Vorbereitung wurde Grotzky kritisch beäugt, seine fehlende Marxismus- und Leninismus-Schulung bemängelt. Der Journalist antwortete damals nüchtern und gleichzeitig etwas frech: „Naja gut, ich hab dann gesagt, ich seh nen andern Ansatz, ich möchte ich gar nicht vordergründig auf die primitiven, politischen Klischees einlassen.“ Stattdessen versuchte er Russland mit all seinen Facetten darzustellen – seine Menschen, seine Kultur. Denn dort wimmelte es nicht nur von „bösen Kommunisten und Halsabschneidern“, meint er, hält ein und schiebt sich seine Brille mit den unten abgerundeten Gläsern wieder nach oben. Weit bessere Arbeit lieferte er dann sieben Jahre später – zu einer Zeit, als Willy Brandt nur ausgewählte Journalisten in den Kreml mitnahm.

Er hat es tatsächlich geschafft, uns erstmal zu vereinnahmen.

Moskau, Ende Mai 1985: Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt besucht den neuen Generalsekretär der Sowjetunion. Während Brandt im Empfangssaals mit der weiß-braunen Wandvertäfelung wartet, steht auf der gegenüberliegenden Seite des Raums eine kleine geladene Delegation mit Aufnahmegeräten und Fotokameras. Unter ihnen auch Johannes Grotzky. Als die beiden mit Ornamenten verzierten Flügeltüren geöffnet werden, tritt ein Mann hinein, der den gesamten Raum auszufüllen scheint und alle anderen klein wirken lässt – ein lächelnder Generalsekretär Michail Gorbatschow. „Er hat es tatsächlich geschafft, uns erstmal zu vereinnahmen, zu sagen, scheint ja ein toller Typ zu sein“, gibt Grotzky offen zu, vom Charisma Gorbatschows, kurz gefangen worden zu sein.

Die Faszination Gorbatschow und der Respekt vor diesem großen Staatsmann halten heute noch immer an. Fast dreißig Jahre später freut sich Johannes Grotzky jedes Mal besonders, wenn er Gorbatschow wiedersieht. „Er hat so die Art jeden zu duzen, er glaubt, sich an Dinge zu erinnern, an die er sich nicht erinnern kann“, erklärt der Journalist. Gorbatschow erinnert sich dann an zum Beispiel an vergangene Reisen, als beide „zusammen in Jugoslawien waren“. „Du standst da in der ersten Reihe“, meinte der Russe mal zu ihm – „ich stand natürlich nicht in der ersten Reihe“, weiß der ehemalige Moskauberichterstatter. Er muss schmunzeln beim Gedanken an einen Mann, den er für seinen Instinkt und „den Mut, sich öffentlich der Kritik der russischen Bevölkerung zu stellen“ schätzt.

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Zwar haben beide einen guten Draht zueinander, als Männerfreundschaft würde Johannes Grotzky sein Verhältnis zu Gorbatschow aber nicht sehen – weit nüchterner: Wenn, sei das „eher eine Form von kennen, wo, ehrlich gesagt, mehr mich mit ihm verbindet, als er mit mir – wer wäre ich denn, dass Gorbatschow mich als einen Freund bezeichnen würde – wirklich nich“, schnaubt Grotzky und schüttelt den Kopf.

„Das war ein anderes Arbeiten“
Gute Bekannte: ja. Deswegen gleich Freunde: nein. Johannes Grotzky hat es nicht mit vereinfachten, überzeichneten Stereotypen. Daher sieht er auch die Arbeit seiner Auslandskollegen kritisch. Vor allem Berichterstattung, die zu sehr dem Mainstream ausgerichtet ist und am Wettbewerb um die schnellsten (und damit oft oberflächlichsten) Stimmen und Bilder teilnimmt. Während seiner zwölf Jahre als Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks richtete er auch wieder „Rechercheredaktionen ein, die investigativ arbeiten können.“ Einen Luxus, den sich private Medien nicht allzu häufig leisten.

Deswegen hat er als Auslandskorrespondent stets abgelehnt, für private Medien zu arbeiten.

Deswegen hat er als Auslandskorrespondent stets abgelehnt, für private Medien zu arbeiten. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, erläutert Johannes Grotzky – „war das ein anderes Arbeiten“. Dennoch: Zweimal zögerte der Journalist, als er Angebote der Qualitätszeitungen „Die Zeit“ und „Tagesspiegel“ erhielt. Letztlich entschied er sich dann aber doch wieder für den Hörfunk – und „für das emotionale Element beim Radio machen“.

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