Moldawien

Vasile Cristian Doroftei

„Der rumänische Bauer hegt für den Russen nur Hass“
(Karl Marx, Manuskript B 91, aus Erläuterungen über die Rumänen)

Ein Mann hinkt in einen Alimentari-Laden. Das Bein tut ihm manchmal weh. 1992 drang eine Kugel ein. Vasile Ciobanu, ehemaliger Freiwilliger im Transnistrien-Krieg. Zur Zeit Maxi-Taxi-Fahrer. Er will seinen Durst mit einem Bier im Dendrarium Park im moldawischen Kischinau stillen.

An der Kasse, Elizabeta Stepanova, die Besitzerin. Sie trägt eine blaue Schürze. An einer Wand das Band des Heiligen Gheorghe. Ein Symbol, welches im postsowjetischen Raum das Ende des Weltkrieges als „Tag des Sieges“, dem größten Feiertag der Russen, getragen wird. Als er die Schleife sieht, sagt Vasile erregt: „Guten Tag“.

„Dobro Pojalvati“, antwortet Elizaveta Stepanova. Das heißt „Willkommen“ auf Russisch. Sie kann kein Rumänisch. Seit sie in die Sowjetische Sozialistische Republik Moldau eingewandert ist, musste sie nicht Rumänisch lernen. Vor und nach der sowjetischen Zeit reichte ihr Russisch aus.

Als Vasile Russisch hört, eine Sprache, die er seit seiner Kündigung an einer Moskauer Baustelle nicht mehr gesprochen hat, bricht es aus ihm heraus: „Dobro Pajalvati“ sollst deiner Mutter sagen! Mir antwortest du mit „Guten Tag“! Verstanden?“.

Elizabeta antwortet gelassen: „Haben Sie vor etwas zu kaufen oder mir Unterricht zu geben?” In den letzten Jahren hat sie sich an Reaktionen moldawischer Nationalisten gewöhnt.

'Ich habe für die Trikolore und die rumänische Sprache gekämpft, nicht dass du Sau mir auf Russisch antwortest.'

„Wegen Schweinen wie dir habe ich ’92 gekämpft. Ich habe für die Trikolore und die rumänische Sprache gekämpft, nicht dass du Sau mir auf Russisch antwortest. Chemodan, Vokzal, Rossia – Koffer packen, zum Bahnhof, ab nach Russland!“, schäumt Vasile.

”Sam posheol v svoiu Rumyniu i govori na svoem rumynsskim skloka vlezit – Fahr du in dein Rumänien und sprich Rumänisch, bis du nicht mehr kannst,” ätzt Elisabeta zurück.

Vasile kann sich nicht länger beherrschen und zerbricht mit der Faust das Glas einer Fleisch- und Käsevitrine. Dann verlässt er fluchtartig den Laden.

Die Erruption des Alltags passiert am 21. Juli 2014, dem Tag an welchem Russland das Embargo für moldawischen Gemüse und Früchte beschließt. Es ist Russlands Reaktion auf die Unterschrift Moldawiens unter das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU.

Die Russen sind nichts anders als Besatzer, Fettsäcke, Alkoholiker, Schweine.

Vasile ist in einer nationalistischen Familie aufgewachsen. Als Kind hat er gelernt, dass nichts Wichtigeres sein sollte als alles Rumänische. Er hat gelernt als Rumäne stolz zu sein. Die Russen sind nichts anderes als Besatzer, Fettsäcke, Alkoholiker, Schweine. Sein Großvater ist Gutsherr gewesen, in der sowjetischen Zeit enteignet. Vasiles Hass hat nicht nur historische, sondern auch persönliche Gründe.

Er hat wegen der Russen gelitten. Er hat gefühlt was es bedeutet im Kommunismus zu leben. Er hat erlebt was es bedeutet nicht angestellt zu werden, weil man Moldawier ist, weil man Russisch mit dem falschen Akzent spricht. Er ist der Meinung, dass er alle Gründe hat, die Russen zu hassen.

Er will nicht mit dem Gedanken leben, dass die Russen kommen und das tun, was sie dieses Jahr mit der Krim gemacht haben. Er will glücklich sein, will aber seine Vergangenheit nicht vergessen.

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Foto: © Grigore Popovici 2014

Wenn man über die moldawisch-russischen Beziehungen aus der Sicht von Opfern spricht, sehen die Sachen katastrophal aus. Und Vasile fühlt sich als Opfer. Dieses passiert, wenn man sich als Maß aller Dinge sieht. Seinen geliebten Wein kauft niemand mehr. Sein Gemüse und seine Früchte verfaulen im Keller. Der Russe will sie nicht, der Europäer kennt sie nicht. Ein direkter Weg zum Zwiespalt. Lincoln sagte: „Ein an sich gespaltenes Haus kann nicht bestehen“. Aber Moldawier wie Vasile vergessen das.

Europa befindet sich nicht mehr in der beschämenden Zeit der Geschichte, als Nationen sich gegenseitig ausrotteten. Die Zeit der Völkermorde ist vorbei. Moldawien muss sich der gegebenen Realität anpassen. Für Moldawien heißt das in Zusammenhang mit Europa die russisch-stämmigen Moldawier nicht auszuschließen.

Der archetypisch nationalistische Moldawier. Schlechte Laune, gebrochener Arm, beschämendes Davonlaufen und weiterhin durstig.

Die Europäische Union besteht aus Staaten, die sich oft in Konflikten miteinander befanden. Trotzdem konnten diese über Traumata hinwegkommen, indem sie sich zum Hauptziel das Glück des Menschen machten. Sie haben damit eine der stärksten wirtschaftlichen Gemeinschaften gegründet. Eine Erfolgsgeschichte, die durch den Friedensnobelpreis gekrönt wurde. Die EU braucht keine instabilen Partner. Deswegen ist das Mitwirken der EU an Moldawiens Stabilität vital. Es ist die einzige Möglichkeit im Osten Europas für Normalität zu sorgen. Die Antwort ist den Mittelweg zu finden.

Rache ist keine Lösung, und wer sich „schweinisch mit dem angeblichen Schwein benimmt,“ wird zum Schwein. Also wie Vasile… der archetypisch nationalistische Moldawier. Schlechte Laune, gebrochener Arm, beschämendes Davonlaufen und weiterhin durstig.

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