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Zweite Klasse Europa? Cǎtǎlina Russu

Zu Hause war sie Lehrerin. Unter Fremden ist sie Dienerin geworden. Die Physiklehrerin Svetlana Frunza aus Ieloveni war 50 Jahre alt, als sie das Land verließ. Der niedrige Lohn reichte nicht mehr, die Familie zu ernähren und die Miete zu zahlen. Nach 30 Jahren hat sie folglich die Gesetze der Physik verlassen und ist den Gesetzen des Lebens gefolgt, die dir, wenn du nichts zu essen hast und die Miete nicht zahlen kannst, sagen, dass die Bücher dir nicht mehr helfen. Es ist dies ein Werdegang, wie er für tausende moldawischer Lehrer typisch ist. Sie verbannen sich selbst und werden zu Dienern Europas. Zu Hause mangelt es an Lehrkräften, die Qualität der Bildung wird immer schlechter.

Auch wenn der Lehrersold drei Mal erhöht wurde, sind es gerade einmal 150 Euro im Monat. Zu viel zum sterben, zu wenig zum leben. Vor zwei Jahren lieh sich Svetlana Geld, ging ins italienische Padua, um eine alte Frau zu pflegen.

„Nicht mal in meinen Albträumen hab’ ich mir das gedacht,” erzählt sie. „Hier aber bekomme ich meinen moldawischen Monatslohn in einer Woche.” Vergeblich hat sie in Italien versucht eine Stelle als Lehrerin zu finden. Für europäischen Arbeitgeber ist es aber teurer Nicht-EU-Bürger anzustellen. Papiere wie Visa und Sichtvermerke waren ein zusätzliches Hindernis. Um angestellt zu werden braucht man ein Dauervisum.

„Mir wurde erzählt, dass gute Lehrer aus Moldawien oder Rumänien an angesehenen Schulen in Europa angestellt worden sind,” sagt Svetlana. Aber egal wo ich hinging – als sie sahen, dass ich aus Moldawien komme, haben die mich nicht mehr gefragt, was ich kann.”

Egal wo ich hinging – als sie sahen, dass ich aus Moldawien komme, haben die mich nicht mehr gefragt.

Auch wenn nur von einer Grenze getrennt, hat sich die Situation in Rumänien in den vergangenen Jahren grundlegend zum positiven gewendet, vor allem seit das Nachbarland zur Europäischen Union gehört. Wie Svetlana Frunza aus Moldawien ist Andreea Ionescu aus dem rumänischen Klausenburg Lehrerin. In einem sozialen Netzwerk postet die 40-Jährige ihren sozialen Aufstieg als Lehrerin in Italiens Toscana. Auch wenn der Nettolohn eines rumänischen Lehrers doppelt so hoch wie der moldawische ist, lässt sich das mit dem des Kollegen im Westen nicht annähernd vergleichen. Andreeas Situation unterscheidet sich dennoch grundlegend: Sie ist EU-Bürgerin.

„Ich wollte meinen Beruf in Rumänien ausüben,” erzählt die Klausenburgerin. Indes reichte der Lohn nach den Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst Rumäniens infolge der Finanzkrise nicht. „Da ich aus einem EU-Land stamme, habe ich viele Programme gefunden.” Internship, längerfristige Angebote. Alles war da. „Da ich sehr gute Italienischkenntnisse habe, wurde ich akzeptiert. Mein Monatsgehalt beträgt hier 4.000 Euro, fast zehn Mal mehr als in Rumänien”, erzählt Andreea.

Der europäischen Harmonisierung der Bildungsabschlüsse, Bologna-Prozess genannt, ist Rumänien 2009 beigetreten, Moldawien 2005. Moldawische Lehrkräfte haben somit noch im alten, sowjetischen System studiert. Frontalunterricht, Medaillen-Metall, Zertifikate en masse. Das erschwert die Anerkennung ihrer Studienleistungen im Ausland.

Moldawische Lehrkräfte haben somit noch im alten, sowjetischen System studiert. Frontalunterricht, Medaillen-Metall, Zertifikate en masse.

Laut einem Studie der Bildungsinitiative Viitorul können gerade einmal zwei von Hundert moldawischen Lehrkräften im Ausland Fuß fassen. Bisher harmonieren Bildungsniveau und Kompetenzen nicht mit den Anforderungen anderer Länder, auch wenn seit 2012 in fast allen Staaten der Europäischen Union die Anerkennung akademischer Qualifikationen angestrebt wird.

Mehr Glück haben moldawische Jugendliche bei Studien- und Arbeitsmöglichkeiten im Ausland. Mit Rumänisch, Russisch und Englisch ist ihre Vielsprachigkeit dabei Trumpf.

Die Behörden in Moldawiens Hauptstadt Kischinau treibt indes mit der Öffnung der Grenzen eine andere Sorge um: Wie viele Menschen werden dann noch im Land bleiben?

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